Die Bundles der Zukunft: Wie Mediahuis und US-Publisher neue Zielgruppen erschließen

Gastbeitrag von unserem Trendscout Ulrike Langer

Zwei packende Keynotes vom European Publishing Congress in Wien zeigen, wie Publisher in Europa und große US-Verlage mit smart geschnürten Bundle-Produkten und spitzen Zielgruppen-Newslettern jüngere Leser erreichen und ihre Erlöse steigern. Einblicke und Strategien direkt vom Kongress – kuratiert von Ulrike Langer, Autorin des KI-Newsletters News Machines.

Das Zielgruppenproblem der Generation 25-40

GerBen van 't Hek, Strategy Director bei Mediahuis, bringt es auf den Punkt: „Wir haben ein Publikum zwischen 30 und 50 Jahren, das weder klassische E-Paper liest noch mit digitalen Zeitungen zufrieden ist. Es will Inhalte mit Anfang und Ende – aber nicht unsere aktuellen Produkte."

Die Lösung von Mediahuis: „Bundles of the Future" – kuratierte Inhaltspakete mit Audio, Video und Text, die in wenigen Minuten konsumierbar sind. Entscheidend ist die mobile-first- Strategie: Nutzer swipen durch Content-Karten wie bei Instagram-Stories oder TikTok. Jeder Inhalt (Artikel, Video, Audio) wird zu einer „Karte" in einer mobilen Benutzeroberfläche. Nutzer kontrollieren ihren Konsum, indem sie in ihrem eigenen Tempo durchswipen und wissen, wann sie das Ende erreicht haben.

Die technische Innovation dahinter: Ein Content-Management-System, das es Redakteuren ermöglicht, automatisch bestehende Inhalte (Artikel, Videos, Social-Media-Posts) in das Bundle-Format zu verpacken. Redakteure erstellen keine neuen Audio-/Video-Inhalte – sie verwenden bestehende Inhalte wieder und organisieren sie in 15 Minuten zu konsumierbaren „Bundles".

Was US-Publisher anders machen

Während Mediahuis auf kuratierte Bundles setzt, habe ich beim European Publishing Congress Beispiele vorgestellt, wie US-Publisher Newsletter als eigenständige Produkte unabhängig von einer Website oder einer Printzeitung monetarisieren und dabei neue Zielgruppen ansprechen.

6AM City: KI-gesteuerte Lokalisierung durch systematische Prozessautomatisierung.

Mit seiner lokalen Newsletterkette spricht 6AM City vor allem Bürger an, die wissen wollen, was an ihrem Wohnort los ist (Geschäfte, Events, Vereine etc.), die aber keine Tageszeitung abonnieren würden. Die Newsletterkette bedeutet mehrere lokale Newsletter, die im selben Format, mit derselben Technologie und demselben Geschäftsmodell verschiedene lokale Märkte bedienen.

Bevor ein Newsletter an den Start geht, analysiert 6am City mit dem „Pride of Place"-Algorithmus öffentlich verfügbare Daten – beispielsweise Demografie, Einzelhandelsumsätze, Wohltätigkeitsspenden und Social-Media-Sentiment. Das Unternehmen nutzt die Ergebnisse, um vorherzusagen, welche Städte profitabel sein werden. Die Einführungsphase in neuen Märkten wurde durch Prozessautomatisierung von 24 auf drei Monate reduziert. In den neueren der mittlerweile 31 lokalen Märkte dauert es nur noch drei Monate, bis 50.000 Abonnenten erreicht werden und der neue Newsletter profitabel wird.

Pro Stadt operiert 6AM City mit 3,5 Vollzeitkräften (2 Redakteure, 1-2 Mitarbeiter in Marketing/Vertrieb) bei Startkosten von 250.000-300.000 Dollar. Nach 18 Monaten generiert jeder Markt über 250.000 Dollar jährlich. Das Geschäftsmodell: Newsletter-Werbung als Hauptumsatz, E-Commerce („The Buy"), SaaS-Lizenzierung an etwa 120 Verlage und strategische Content-Partnerschaften. Die Content-Strategie „Keine Kriminalität und keine Politik” erweitert den adressierbaren Werbemarkt, indem kontroverse Inhalte vermieden werden.

Morning Brew: Vom College-Newsletter zur KI-gesteuerten B2B-Medienplattform

Was 2015 als „Market Corner" im Studentenwohnheim begann, wuchs auf 4,4 Millionen Abonnenten mit über 50 % Öffnungsraten. Der strategische Schwenk zu B2B 2018 basierte auf höheren Werbepreisen und zielgerichteteren Demografien. 2024 erreichte die B2B-Sparte 25 Millionen Dollar Umsatz und wird 2025 erstmals den Flaggschiff-Newsletter übertreffen. Morning Brew betreibt acht spezialisierte B2B-Newsletter (Marketing, HR, Tech, IT, CFO, Einzelhandel, Gesundheitswesen) plus den neuen Revenue Brew. Das Multimedia-Ökosystem umfasst vier Podcasts mit „mehrstelligem Millionen-Dollar-Werbewachstum", YouTube-Kanäle mit fast einer Million Abonnenten und Events. Entscheidend ist die „Kreuzbefruchtung"-Strategie: Eine KI-gesteuerte Datenanalyse identifiziert B2B-Potenziale in der Consumer-Basis. CEO Robert Dippell erklärt: „Wenn jemand Morning Brew liest, unsere Podcasts hört und CFO-Ambitionen hat, entdeckt er durch Querpromotion CFO Brew." Über 60 % des Zielgruppen-Engagements findet inzwischen außerhalb von Newslettern statt.

Lektionen aus diesen Beispielen:

Beide Ansätze – Mediahuis' Bundles und US-Newsletter-Strategien – lösen dasselbe Problem: Wie erreicht man Zielgruppen, die traditionelle Medienformate ablehnen?

Drei strategische Erkenntnisse:

Formatinnovation schlägt Inhaltsinnovation: Mediahuis nutzt bestehende Inhalte, verpackt sie aber völlig neu. „Wir verschwenden unseren Content", erklärt van 't Hek das frühere Problem. „Wir machen aufwändige Videos für Social Media, aber nutzen sie nicht in unseren eigenen Produkten."

Kontrolle als Wertversprechen: Nutzer wollen bestimmen, was sie konsumieren. Mediahuis' Swipe-Interface und Morning Brews Multimedia-Ökosystem geben Nutzern die Kontrolle zurück.

Datengetriebene Zielgruppensegmentierung: 6AM City und Morning Brew sammeln beide präzise Daten über Nutzerpräferenzen. Sie nutzen diese Daten für die Entscheidung, in welche Städte sie als Nächstes mit neuen lokalen Newslettern expandieren, die Optimierung der Inhalte für lokale Interessen, präzisere Werbetargetierung und die Cross-Promotion zwischen ihren verschiedenen Newslettern und Formaten.

Die Monetarisierungsrealität

Die Newsletter-Monetarisierung von 6AM City funktioniert ab 1.000 engagierten Abonnenten mit 10.000 Dollar monatlich – aber nur mit Service-basierten Modellen. Reine Werbestrategien brauchen Millionen von Nutzern.

Mediahuis testet bereits Freemium-Modelle für ihre Bundles: Basis-Nutzer erhalten kostenlose Inhalte, Premium-Nutzer bekommen Zugang zu exklusiven Bundle-Formaten. Van 't Hek: „Wir können hochwertige Video-Werbung direkt in die Bundles integrieren – das ist mit klassischen Formaten nicht möglich.

 

Der Ausblick

Die Zukunft gehört hybriden Formaten, die bestehende Inhalte neu verpacken und präzise Zielgruppen ansprechen. Mediahuis' Bundles zeigen: Verlage müssen nicht komplett neue Inhalte erstellen – sie müssen bestehende Inhalte neu organisieren.

Ein Warnung von Ryan Heafy, COO von 6AM City: „Verlage werden einen deutlichen Anstieg der Werbeeinnahmen in Newslettern sehen, aber die meisten sind noch nicht bereit dafür."

Bottom Line: Erfolgreiche Zielgruppenerweiterung braucht drei Elemente: Formatinnovation, Nutzerkontrolle und datengesteuerte Segmentierung. Die Beispiele aus Wien zeigen, wie es funktionieren kann.